9. November 1989

An Freiheitsdrang und Gründergeist von ’89 erinnern

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER und der Landesvorsitzende der FDP Sachsen HOLGER ZASTROW schrieben für die „Frankfurter Rundschau“ (Freitag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Fünfundzwanzig Jahre – das ist eine Generation. Wer heute so alt ist, der kennt nur die deutsche Einheit. Wir, die beiden Autoren dieser Zeilen, kennen noch die Zeit der Teilung unseres Vaterlandes. Natürlich ganz unterschiedlich: Der eine ist heute 35, der andere 45. Der eine ist im Bergischen Land aufgewachsen, der andere in Dresden. Aber beide sind wir stolz auf unser Land, sein liberales Grundgesetz, seine Weltoffenheit, seine wirtschaftliche Stärke. Und auch auf unsere gemeinsame politische Heimat FDP – die erste gesamtdeutsche Partei.

Jeder weiß, wo er am Tag des Mauerfalls war. Der eine von uns war von seiner Mutter, der andere von Freunden an den Fernseher gerufen worden, um sich das zuvor Unvorstellbare in Berlin anzusehen. Der aus dem Osten war die Tage zuvor in seiner Heimatstadt auf der Straße, als gegen die SED-Diktatur, für Recht und Freiheit und Einigkeit demonstriert wurde. Keiner von uns beiden hat damals geahnt, dass wir schon ein Jahr danach im vereinten Deutschland leben und später vereint in einer liberalen Partei gemeinsam Verantwortung tragen würden. Der Stolz auf die FDP hat auch damit zu tun, dass es die Genschers und Mischnicks (aus dem Osten) und die Scheels und Lambsdorffs (aus dem Westen) waren, die der freiheitlichen Bürgerbewegung den Weg bereiten halfen. Gemeinsam mit Konservativen und Sozialdemokraten und in Würdigung der großen Beiträge Michail Gorbatschows.

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung unseres Landes und die soziale Marktwirtschaft haben Deutschland zu dem gemacht, was es ist: ein weltoffenes Land, das durch seine wirtschaftliche Stärke mehr Wohlstand ermöglicht, als Ludwig Erhard es sich hätte träumen lassen. Seine Fundamente sind die bürgerlich-liberalen Tugenden von Freiheit, Verantwortung, Risikobereitschaft, Solidität, Fleiß und Toleranz. Danach haben sich die Menschen im November 1989 gesehnt.

Gegenwärtig erleben wir eine Defensive dieser Grundwerte: staatliche Preiskontrollen für Löhne und Mieten, marktferne Dauersubventionen für Ökostrom, die Totalüberwachung von Autofahrern durch die neue Dobrindt-Maut, Rentengeschenke nach Kassenlage, steigende Steuern und Abgaben. Traditionell haben private Initiative, private Verantwortung und privates Eigentum Vorrang. Für den nach links gerückten politischen Zeitgeist ist das Private aber mehr und mehr ein Objekt der politischen Überwachung, Planung, Förderung, Lenkung oder gleich Bevormundung. Zugespitzt gesagt: Nicht nur manche politische Entscheidung dieser Tage erinnert an die DDR, auch die Abstimmungsergebnisse im Deutschen Bundestag gleichen der Volkskammer.

Das Streben nach „mehr Freiheit“ des Novembers 1989 wurde abgelöst durch den Wunsch nach „mehr Gleichheit“. Ist denn aber die Vielfältigkeit unseres Landes ein Skandal? Wie wäre es, wenn Fleiß, Talent und Lebensentscheidungen keinen Unterschied mehr machen würden? Wir sollten es also als ein Privileg betrachten, dass wir uns heute – im Unterschied zur oft grauen DDR – unterscheiden dürfen! Die mühsam erstrittene Freiheit des Einzelnen ist jede Verteidigung wert. Das gilt besonders für das freie Wort – jedes einzelnen Bürgers, aber auch der politisch Handelnden. Geradezu bizarr sind die Anwürfe aus der Linkspartei gegenüber dem ersten Bundespräsidenten unseres Landes, der selbst aus dem Osten stammt und den Unrechtsstaat DDR ertragen hat. Wir verteidigen nicht nur die freie Meinungsäußerung unseres Bundespräsidenten und aller Bürger. Wir teilen auch die Sorge Joachim Gaucks, wenn 25 Jahre nach dem Mauerfall mit den Stimmen von SPD und Grünen in Thüringen ein Politiker der Linkspartei die Regierungsgeschäfte übernimmt – einer Partei, die in der Nachfolge der SED steht und die die liberale Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung unseres Landes, für die die Menschen im November 1989 gestritten haben, wieder überwinden will.

Dass der Ruf der Demonstranten „Keine Gewalt!“ nicht nur eine Forderung blieb, sondern den Ruf der friedlichen Revolution begründete, das hat viel mit historischen Lehren zu tun, die die Deutschen – egal auf welcher Seite am 9. November – beherzigt haben. Die Forderung für heute ist: Toleranz darf nicht den Intoleranten nutzen. Gegen politischen und religiösen Extremismus – wenn etwa unter unseren Augen von Salafisten „Gotteskrieger“ rekrutiert werden sollen – müssen wir uns mit allen Mitteln des Rechtsstaats wehren. Der innere Frieden unserer Gesellschaft erfordert diese Wehrhaftigkeit, wenn er in Frage gestellt wird.

Die Deutsche Einheit lebt von der Einheit der Demokraten und dem Einstehen für die bürgerlichen Grundwerte unserer Gesellschaft. 25 Jahre nach dem Fall der Mauer ist es Zeit, sich an den Freiheitsdrang und den Gründergeist des Novembers 1989 zu erinnern. Davon kann Deutschland heute, in der Zeit des Wandels, wieder profitieren.